Die Neudefinition des Begriffes „arbeitslos“

Die Entwicklung der Arbeitslosenzahl gilt als eine der wichtigsten Kennziffern für den Erfolg einer Regierung. Im Oktober 2010 - also dem Jahr, in dem die Agenda 2010 ihre vermeintlich positiven Wirkungen entfalten sollte, wurde die Zahl der Arbeitslosen von der Bundesregierung mit 2,9 Millionen angegeben. Die Anzahl der erwerbsfähigen Bezieher von Arbeitslosengeld I und II lag jedoch mit ca. 6 Millionen doppelt so hoch. Nach der Reform tauchte - und dies ist im Wesentlichen bis heute so - also lediglich die Hälfte der Empfänger von Arbeitslosengeld in der offiziellen Arbeitsmarktstatistik als "arbeitslos" auf. Die Ursache hierfür liegt in der Definition des Begriffes „arbeitslos“. Um die Arbeitslosenzahl geringer erscheinen zu lassen, ist die Arbeitsmarktstatistik von den jeweiligen Bundesregierungen immer wieder verändert worden. Heute gilt: Wer als Arbeitslosengeldempfänger für einen einzigen Tag krank geschrieben wird, wird an diesem Tag nicht als arbeitslos geführt. Erwerbslose, die über 58 Jahre alt sind, werden nicht mehr als arbeitslos eingestuft, wenn sie ein Jahr lang kein Jobangebot erhalten haben. Selbst die Ausübung einer Arbeitsgelegenheit (sogen. „Ein-Euro-Job“) oder die Teilnahme an einer sonstigen Maßnahme der Arbeitsverwaltung (z.B. an einem Bewerbungstraining) führt dazu, dass der Arbeitslose offiziell nicht mehr als arbeitslos gilt. Darüber hinaus gibt es weitere Tatbestände wie z.B. „Elternzeit“ oder die Pflege von Familienangehörigen, aufgrund derer Empfänger von Arbeitslosenunterstützung nicht als arbeitslos geführt werden. Insgesamt werden aus den genannten Gründen ca. 1,5 Millionen Menschen, die Arbeitslosengeld I oder II beziehen, in der Arbeitslosenstatistik nicht berücksichtigt. Weitere ca. 1,5 Millionen gelten nicht als arbeitslos, weil sie "ergänzende Hilfen beziehen". Es handelt sich hierbei um Personen, die zwar arbeiten, aber so wenig verdienen, dass sie auf Arbeitslosenunterstützung angewiesen bleiben. Seit der "Hartz-Reform" im Jahr 2005 wurden Vollzeitstellen gezielt in für Arbeitgeber kostengünstigere Teilzeitstellen umgewandelt. Rund fünf Millionen solcher „Minijobs“ entstanden in den ersten fünf Jahren nach Inkrafttreten der Reform. Bereits ab einer Wochenarbeitszeit von über 15 Stunden bzw. einem Einkommen ab 450 Euro gelten diese "geringfügig Beschäftigten" nicht mehr als arbeitslos. Das gilt auch, wenn es sich hierbei um Tätigkeiten mit klassischem Nebenverdienstcharakter handelt. Hinzu kommt, dass es sich bei neu entstehenden Stellen vielfach um „prekäre Beschäftigungsverhältnisse“ handelt, die gering entlohnt, als „Leiharbeit“ ausgeübt werden oder befristet sind.

Die Massenarbeitslosigkeit wird von der Politik also nicht tatsächlich, sondern nur scheinbar abgebaut. Sie wird quasi wegdefiniert durch Neuinterpretation dessen, was arbeitslos bedeutet und wer als arbeitslos gilt. Von alldem nimmt die Öffentlichkeit wenig Notiz. Durch die Herausnahme der Hälfte der Bezieher von Arbeitslosenunterstützung aus der offiziellen Arbeitslosenstatistik ist es der Politik in den vergangenen Jahren gelungen, die Folgen einer verfehlten Globalisierungspolitik weitgehend zu kaschieren.